Chris De Bié - Storia Theurgica - The Hippie trail - www.storiatheurgica.net
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Storia Theurgica
The Hippie trail


Einleitung

- _1. Die Flucht
- _2. Tor zu Asien
- _3. Persien
- _4. Afghanistan
- _5. Pakistan
- _6. Indien
- _7. Nepal
- _8. Zurück nach Europa
7. Nepal

Pokhara - Kathmandu

 
Kathmandu


Was für eine entspannte und komfortable Reise nach all den lokalen Bussen mit ihren kaputten Sitzen und Fenstern. Die Straße führte überwiegend entlang des Trisuli-Flusses. Auf halber Wegstrecke blickte ich links und rechts in unendliche Schluchten. Hier vereinigt sich der Trisuli mit Kali Gandaki, der in Mustang entspringt. Ein atemberaubender Moment den ich als Gruß aus Tibet empfand. Nicht zum ersten Mal begleitete mich dabei "Do what you like" von Blind Faith.

"Do right use your head,
Everybody must be fed,
Get together break your bread,
Yes together that's what I said,
Don't fight use your head,
Open your eyes,
Realize you're not dead,
Take a look at an open book,
Do what you like, that's what I said."

Das passte ja, wenn da am Ende nicht Ginger Baker's Geständnis gewesen wäre!
"Deep Flash...run away...ding dong ...ding dong...very long...".
Ein gelungenes Meisterwerk eines Junkies.

Existenzangst begleitete mich und ich wusste das Kathmandu ein Paradies für Süchtige geworden war. Aber ich war mir auch sicher, dass ich aufgefangen würde. Ich war Teil einer Geschichte und mit Verstand und der Hilfe von Gleichgesinnten würde ich erfolgreich sein.

Im Gegensatz zu den lokalen Bussen fuhr der Schweizer Bus direkt zum Durbar Sqare von Kathmandu mit der berühmten Freak Street. Mit den vielen bunten Läden und Restaurants erinnerte es mich an die Chicken Street von Kabul. Man konnte zwischen einheimischer, tibetischer, indischer, italienischer und und sogar schweizer Kost wählen.
 
 

 
 
 

Freak-Street

Ich quartierte mich in der 'Oriental Lodge' ein und ging dann ins gegenüberliegende 'Hungry Eye'. Die hatten ein Sammelsurium von Gerichten auf ihrer Speisekarte um jedem Westler gerecht zu werden. Bei Kartoffelpürree mit Käse und Erdnussbutter-Bananen-Sandwich entdeckte ich einige Gesichter die mir bekannt vorkamen. Kathmandu war einer dieser Orte, die man gesehen haben mss und deshalb kreuzten sich hier wieder die Wege vieler Morgenlandfahrer. So hielt sich auch meine Überraschung in Grenzen als Ian durch die Türe schritt. Wir hatten in Goa sehr schöne Momente miteinander geteilt und er setzte sich mit einer sehr hübschen Schweizerin an meinen Tisch. Sie kamen gerade aus dem 30km entfernten Dhulikhel und waren auf dem Weg nach Bangkok. Ich wusste, dass er die Mittel dafür nicht haben konnte und längst nach Jamaika zurückgekehrt sein sollte. Es stellte sich dann heraus, dass seine Freundin die weitere Reise finanzieren wird. Was für ein Glückspilz! Ich freute mich mit ihm und wir tauschten Erfahrungen aus. Bei der Abschiedsumarmung steckte er mir einen 10 Dollarschein in meine Westentasche.
"Für die vielen Chillums mit Deinem Manikaran. Es war mir eine Ehre! Und Danke für Deine Apple-pastry! Von denen wird man noch in vielen Jahren reden."
Das war wohltuender Balsam für meine Seele!

Entspannt und befreit von meinen Selbstzweifeln erkundete ich diesen Schmelztiegel von hinduistischer und buddhistischer Kultur. Zwischen Kitsch und Kuriositäten, die auf dem Durbar Square verkauft wurden, entdeckte ich auch Amulette mit Tigerzähnen. Unkundige Touristen werden am Zoll damit einigen Ärger gehabt haben. Die schönen und seltenen Geschöpfe standen auch damals schon unter Artenschutz. Bis heute werden Salben und Pulver aus Tigerkörperteilen hergestellt. Von den Schnurrbarthaaren bis zum Blut und den Zähnen. Die Zähne sollen vor dem bösen Blick schützen und pulverisiert werden sie als Potenzmittel gehandelt. Vor einem Tempel posierten 2 Saddhus für Touristen und es muss ein einträgliches Geschäft gewesen sein. Ihre Gewänder schienen nagelneu und ihre blitzblanken Essensnäpfe hatten sie wahrscheinlich nie benutzt. Auf meiner Reise begegnete ich einigen von diesen Pseudo-Saddhus und unter den Einheimischen waren auch viele aus der westlichen Hemisphäre.

Ich durchsteifte die nähere Umgebung um den zentralen Platz von Kathmandu. Mit seinem alten Königspalast, dem Goldenen Tempel und dem angrenzenden Bazaar. Einige Läden hatten sich auf das maschinelle Sticken von Kleidungsstücken aller Art spezialisiert. Man konnte vorgegebene Motive wählen oder auch eigene in Auftrag geben. Ich kaufte mir eine weiße Baumwollweste und ließ den Rücken mit einem Drachen besticken.
  Peter Engelhardt

 
 
 

Alter Königspalast
Fotos von Peter Engelhardt - 1977
 

 
 
 

Goldener Tempel

  Travelling didjeridoo

 
 
 

Goldener Tempel II

 

 
 
 

Goldener Tempel III
Fotos von Ruff Libner (Trav. Didge.)

Zurück in der Freak-Street lauschte ich den Berichten über Kathmandu aus früheren Jahren. Damals gab es noch das legendäre Eden-Hashish-Centre und andere offizielle Verkaufplätze. Auf der Speisekarte gab es etliche Gerichte mit Charas. Im Kartoffelpüree oder im Tee. Auf Druck der USA wurde die Droge Ende 1973 verboten und über Nacht wurden die Läden und Raucher-Cafes geschlossen. Polizei durchsuchte die Straßen nach Freaks mit ungültigen Visa und sehr viele Leute wurden mit Lastwagen zur indischen Grenze deportiert. König Birendra soll von Nixon als Gegenleistung für das Kriminalisieren von Drogen sehr viel Geld erhalten haben. Mittlerweilen - 3 1/2 Jahre später - hatte sich die Situation entspannt und es gab wieder einige 'inoffizielle' Läden und Plätze wie das 'Snow Man', wo man bei Milchshakes die kreisenden Chillums ungestört geniessen konnte. Auf unsere Devisen wollte man doch nicht verzichten, für Pauschal-Touristen war Nepal noch ein Geheim-Tipp und die Bergsteiger hatten sowieso nicht so hohe Ansprüche.
 

 
 
 

Eden-Hashish-Centre
Foto von RogerMcLassus

Im 'Snow Man' traf ich einen der Babas aus Manikaran wieder. Sichtlich genoss er die Aufmerksamkeit und die Einladungen von allen Seiten. Er erkannte mich und lud mich zum Erstauen der anderen Gäste zum Chillum ein.
"Kein 'Manikaran' aber 'Mustang'!"
Wir lächelten uns an und schwelgten in Erinnerungen. An die Sweets aus Kullu und an den Baba in seinem Holzverschlag. Charas aus Mustang! Das war wirkliche eine Ehre! Der wurde in Kathmandu genau so geschätzt wie mein Manikaran in Goa. In kleinem Kreis genossen wir dieses Chillum und Lucy aus New York war einer der Glücklichen. Wir freundeten uns an, aber leider waren das auch ihre letzten Stunden in Nepal. In einer berauschenden Nacht zeigte sie mir ihre Lieblingsplätze in Patan.
 

 
 
 

Durbar Square von Patan

 

 
 
 

Vögel über Patan

 

 
 
 

Glocke in Patan
Fotos von Peter Engelhardt - 1977

 

 
 
 

Wächter-Elefanten

 

 
 
 

Schnitzerein

 

 
 
 

Schnitzereien II

Morgens begleitete ich sie zum Busbahnhof. Sie hatte eine lange Reise vor sich. Über Bhairawa nach Indien und dann überland bis Luxemburg, um dort ihren Flieger zurück nach Hause zu nehmen.
„Oh Chris, wir hätten uns früher treffen sollen. Vielleicht kreuzen sich unsere Wege ja noch mal.“

Zum meinem Lieblingspatz wurde Shayambhunath. Am Fuße des Hügels befindet sich eine Steinplatte mit den Fußabdrücken Buddhas und durch das Eingangstor führt eine Treppe mit 365 Stufen zum Stupa. Einer Legende nach war einst das ganze Tal ein großer See mit einer schönen Lotosblüte auf dessen Oberfläche. Der See wurde dann in einen Hügel verwandelt, und die Lotosblume wurde zum Stupa. Er spiegelt die Weltachse wieder, die Erde und Himmel verbindet. Der buddhistische Stupa wird von zwei hinduistischen Stupas flankiert und ist exemplarisch für eine einzigartige Synthese von Buddhismus und Hinduismus.
 

 
 
 

Eingangstor

Die vielen Stufen symbolisieren den beschwerlichen Weg ins Nirvana. Entlang der Treppe meißelten fleißige Steinmetze 'Om mani padme hum' in Kieselsteine ein. Ich erwarb einen Stein unf fügte ihn den unzähligen Anderen hinzu, die den Hügel schmückten.
 

 
 
 

365 Stufen

Endlich oben angekommen wurde ich von einer Horde aggressiver Affen empfangen. Einer thronte auf einem Dorje (hindi) oder Vajra (tibetisch) - einem Donnerkeil oder Diamantzepter. Sie galten als Wächter und genossen alle Freiheiten; deshalb wurde Shayambhu auch 'Affen-Tempel' genannt.
 

 
 
 

Vajra

In einem Chai-Shop genoss ich diese grandiose Aussicht und wurde promt meines Kekses beraubt. Den neu bestellten aß ich direkt und liess ihn nicht auf dem Teller liegen. Wobei das kein wirklicher Schutz war, denn sie stahlen einem auch aus den Händen und sogar aus der Hosentasche begehrte Köstlichkeiten. Die Augen Buddhas überblicken von hier aus in 4 Himmelrichtungen das gesamte Kathmandu-Tal. Zum Abschluss umrundete ich den Stupa und drehte an den großen Gebetsmühlen mit den unzähligen 'Om mani padme hum'-Mantras.
 

 
 
 

Gebetsmühlen

Auf meinem Rückweg zum Hotel bot mir ein kleiner Junge einen Mani-Stein an. "Woher hast Du den?" fragte ich ihn und war nicht wirklich überrascht, als er davonlief. Ich bezweifelte, dass er ein Buddhist gewesen war; der Diebstahl einer Opfergabe wäre ihm zu fremd gewesen. Nennen wir es eine Jugendtorheit - wer war ich, um darüber zu urteilen! Inzwischen war es dunkel geworden und die allsehenden Augen erstrahlten im Nachthimmel.
 

 
 
 

Swayambhu bei Nacht
Fotos von Ruff Libner (trav.didge.)

Während wir bei 'Slave Driver' und 'Kinky Raggae' von Bob Marley unsere Körper bewegten wurde die Idylle im 'Snow Man' von heruntergekommenden Junkies getrübt. Tote Augen anstelle von Strahlenden - und es gingen Warnungen durch den Raum. Warnungen vor Diebstählen und anderen Betrugsversuchen. Ich kannte das ja aus meiner eigenen Vergangenheit und wusste was man nicht alles für den nächsten Schuss tut. Im nachhinein bereue ich nicht meine Erfahrung als Junkie, aber die dadurch begangenen Missetaten. Wenn man die Hölle erlebt hat weiß man den Himmel umso mehr zu schätzen.

Ich erinnerte mich an den Tipp von Ian und fuhr ein paar Tage später nach Dhulikhel. Es war ein wundervoller einstündiger Aufstieg von der Busstaion bis zur Lodge die mir Ian empfohlen hatte. Sie war günstig und nicht sehr frequentiert. Auf einem Hügel gelegen war es das einzige Gebäude mit einem grandiosen Panorama von 20 schneebedeckten Himalaya-Gipfeln. Wenn Nebel den unteren Teil des Gebirges umfasste, schienen sie in der Luft zu schweben. Einer der Wenigen, die sich hierhin zurückgezogen hatten, war ein Holländer ohne gültiges Visa. Er konnte seine Rechnung nicht mehr bezahlen und half beim Aufbau der Lodge. Oft stieg ich frühmorgens auf das Dach und ergötzte mich an diesem Schauspiel der Natur. Langsam erstrahlten die Göttersitze und kündigten die 'wiederauferstehende’ Sonne an. Endlich tauchte sie auf und vertrieb die kalte Nacht. Nach einem dieser beglückenden Momente startete ich den neuen Tag mit einem zweistündigen Fußmarsch nach Namo Buddha.

Der Ort zählt neben Lumbini, Swayambhu und Bodnath zu den heiligsten buddhistischen Pilgerorten im Lande. Der historische Buddha soll hier seinen Körper einer verhungernden Tigerin geopfert haben, damit sie ihren Nachwuchs füttern konnte. Der Legende nach befinden sich einige Haare und Knochen Buddhas in der Stupa, die den Namen "Namo Buddha" trägt. Hier entstand gerade ein Kloster mit Klausur-Zentrum. Einige Stunden schaute ich dem emsigen Treiben der Mönche und Handwerker zu, die mit viel Hingabe und Improvistaionsgeschick an diesem neuen Refugium arbeiteten.

Spätnachmittags machte ich mich auf dem Rückweg, „Hoffentlich schaffe ich es noch vor Sonnenuntergang“ dachte ich als ein LKW, vollbeladen mit Gütern und Menschen, auftauchte. Es ging jetzt etwas schneller, aber auch unbequemer voran. Bei jedem Schlagloch sprang ich in die Höhe und musste mich bei meinen Nachbarn festhalten. Erlöst von dieser Tortur wurde ich Zeuge von einem Streit zwischen dem Holländer und den Inhabern der Lodge. Sie forderten die ausstehende Miete ein, obwohl er so viel für sie getan hatte. Das war ungerecht! Ich empfand sehr viel Mitgefühl, aber musste mich jetzt um meine eigene Sache kümmern. Mein Visa lief aus und meine Geschichte sollte nicht in so einer Sackgasse enden.

Nachdem ich die Aufenthalts-Genehmigung um einen Monat verlängert hatte ging es zur Post, um meiner Mutter einen Brief zu schreiben. Als Absender gab ich ‚Poste Restante’ an, wie alle Anderen, denen ich hier begegnete. Mit glücklichen oder enttäuschten Gesichtern kamen sie von den Postfächern zurück, die zwar alphabetisch angeordnet waren, bei denen sich aber auch jeder bedienen konnte.

Meine Mutter hatte mich so oft aufgefangen und ich war mir sicher, dass sie mir helfen würde. Sie hatte immer zu mir, dem schwarzen Schaf der Familie, gehalten. Nach abgebrochenen Lehren und Studium. Während meiner Junkie-Zeit und in der Psychiatrie. Ich schilderte ihr meine Situation und bat sie um eine Überweisung von 300 DM auf die Nepal Rastra Bank. Zwei Wochen später fand ich im Postfach ihre Antwort. Sie hatte das Geld über die Sparkasse der Stadt Köln nach Nepal überwiesen. Täglich ging ich zur Bank und kam enttäuscht zurück und diese Erfahrung teilte ich mit vielen Anderen.

Eine Woche bevor mein Visa auslief begegnete ich Hans-Georg Behr, einem bekannten Östereichischen Schriftsteller und Journalisten, der sich hier niedergelassen hatte um Landwirtschaft zu betreiben. Er lud mich in sein Haus ein, dass er sich mit seinem Freund Eckhard und einem hübschen nepalesischen Knaben teilte. Stolz zeigte er mir sein "Haschisch-Kochbuch", "Nepal - Geschenk der Götter" und sein "Söhne der Wüste - Kalifen, Händler und Gelehrte". Enttäuscht über Betrügereien und Missgunst baute er gerade seine Zelte ab und vermachte seine umfangreiche Bibliothek dem Goethe-Institut weil er nicht mehr das Geld für den Rücktransport hatte. Trotz dieser Geldnot wollte er seiner vornehmen und anspruchsvollen Mutter eine Hundekette aus Silber mitbringen und ich begleitete Ihn zu einem Silberschmied. Ich erinnere mich nicht mehr an den Preis, aber wahrscheinlich hatte er zuviel bezahlt. Kein Wunder, denn nicht nur ich, sondern auch die Nepalesen wunderten sich über diesen ausgefallenen Auftrag. Danach gingen wir zum Eden-Hotel und er stellte mich dem Inhaber vor. Es war D.D. Sharma, der mit dem erwirtschaften Geld seines Eden-Hashish-Centre das Hotel aufgebaut hatte.
 

 
 
 

Kartenausschnitt von Kathmandu
mit Freak Street und Eden Hotel - 1979

Es lag ca. 100 Meter vom alten Center entfernt am Ende der Freak Street und sein Büro war dekoriert mit Kalendern, Postern und Flugblättern aus dieser legendären Zeit.
 

 
 
 

Poster

 

 
 
 

Flugblatt
Foto von John Bower - 1972

Er suchte einen Vegetarischen Koch aus dem Westen, um seine Klientel mit einem Mix aus westlicher und östlicher Küche zu verwöhnen. Ich bekam den Job und ein Zimmer im noch nicht eröffneten Hotel. Eine letzte Nacht übernachtete ich bei Hans-Georg und er erzählte von seinen Abenteuern mit Didi. Mein neuer Arbeitgeber war etwas enttäuscht, dass er diesmal ohne Ware zurückfliegen würde. Ekkhard besaß keine gültige Aufenthaltsgenehmigung und musste deshalb ohne Exit-Visa über Bhairawa ‚schwarz’ die Indische Grenze passieren. Wahrscheinlich hat er dann in Delhi seinen Pass als gestohlen gemeldet.

Dankbar verabschiedete ich mich von meinem Retter; durch ihn wurde mir die erhoffte neue Perspektive geboten. Als langjähriger Vegetarier und Makrobiot nahm ich diese Herausforderung gerne an. Die Gästeräume waren fast fertig und meine Aufgabe war es, die Küche zu planen und einzurichten; mit Handwerkern, die kein oder nur ein paar Worte englisch verstanden. Nach meinen Anweisungen fertigten die Schreiner Tische und Regale und die Elektriker installierten Steckdosen. Am Anfang gestaltete sich die Verständigung etwas schwierig. Aber mit viel Gestik, der Hilfe von Händen und Füssen, verstanden wir uns am Ende prächtig.

Das Hotel war damals einer der höchsten Gebäude Kathmandus und über der Küche war das offene Dach-Restaurant. Während ich auf einem der schönsten Arbeitsplätze der Stadt diesen grandiosen Überblick genoss, wurde ich mit French toast von der Familie bedient.
  John Bower

 
 
 

Sicht über Kathmandu
Foto von Peter Engelhardt - 1977

Außer seinen Angehörigen lebten hier noch sein Sekretär und sein Manager. Beide kamen aus Indien, und zu meiner Enttäuschung logierte uns Didi in einem angemieteten Zimmer zusammen ein. Mit dem attraktiven Sekretär, der von zahlreichen Verehrerinnen mit Telefonaten bestürmt wurde, verstand ich mich überhaupt nicht. Er bekam deshalb auch etliche Male Probleme mit unserem Chef. Durch die Anrufe war oft die einzige Leitung belegt. Bei dem Manager war das schon anders. Nach und nach schilderte er mir intime Einzelheiten über Mr. Sharma. Ein Jahr zuvor wurde er aufgrund einer Aussage von einem Deutschen, der mit 5 Kilo am Flughafen geschnappt wurde, verhaftet. Mit viel Schmiergeld konnte er sich damals freikaufen. Danach verlief auch der Ausbau etwas schleppend. Kurz vor meinem Arbeitsbeginn hatte er Jonathan Benyon aus England und seinem Deutschen Freund Hans, ein Ex-Koch der deutschen Marine, das Hotel mit Restaurant zur Mietung angeboten. Beide betrieben Buslinien auf dem Hippie trail. Von Amsterdam oder London bis Indien oder Nepal. Eine Konkurrenz zum viel zitierten ‚Magic Bus’. Jonathan’s ‚Silver Express’ war mir noch gut aus Goa in Erinnerung. Er parkte seinen Mercedes-Bus auf dem Hügel von Vagator. Didi bestand darauf, dass alles was es brauchte ein Topf mit lecker riechendem Inhalt sei, dessen köstlicher Duft würde die Gäste von selber anlocken und der Rest würde einfach sein. Aber sie lehnten dankend ab. Das Risiko war ihnen doch zu groß. Erst recht, nachdem sie die geheimen Räume im Keller gesehen hatten, die vollgestopft mit Haschisch waren. .

Mein Monatslohn betrug 600 Rupees. Das war nicht viel und entsprach dem Gehalt der Handwerker. Aber für meinen monatlichen Visa-Stempel musste er den zuständigen Beamten mit 500 Rupees bestechen. So kostete ich ihm genau so viel wie der Manager oder der Sekretär. Ich hatte freie Kost und Logie und wurde auch mit Charas versorgt. Damit liess es sich hier ganz gut leben und so konnte ich mir bei meinen allabendlichen Ausflügen Röstis im ‚Swiss Restaurant’, Banana Fritter im ‚Hungry Eye’ oder ein Milkshake im ‚Snow Man’ leisten.

Die Arbeiten verliefen mit asiatischer Gelassenheit. Der Maler bestrich die Wände und bemalte Holzmasken. Die Dämonenschrecke wurden am Geländer des Restaurants aufgehangen um böse Geister fernzuhalten. Er hatte vorher im ‚Soaltee Oberoi' gearbeitet, dem besten Hotel der Stadt, und hatte den grossen Traum dort einmal zu übernachten. Der Schreiner verkleidete die Tische mit Metallblech und der Elektriker bemühte sich um die Steckdosen. Besonders gefordert wurde er bei der Technik für den Aufzug. Wahrscheinlich einem der Ersten der Stadt. Ein Helfer, von der Familie aufgenommener Waise, stand während der Arbeit auf einem schmalen Holzbrett über dem Aufzugsschacht. Dabei wurde mir schon etwas mulmig. Erst recht nachdem man mir erzählte, dass einige Monate vorher während der Arbeiten an der Aussenfassade ein Arbeiter abgestürzt war.

Mein Arbeitgeber kümmerte sich mehr um seine Geschäfte als um die Fertigstellung des Hotels. Fast täglich kamen Tibeter mit ihren Teppichen vorbei und sein Laden hatte wahrscheinlich mittlerweilen das größte Sortiment dieser Kostbarkeiten auf Lager. Aber sein Hauptinteresse war nach wie vor seine illegalen Waren zu verkaufen. Er tauchte die Teppiche in Haschisch-Öl und formte Holzdruckstöcke und andere Kunstwerke aus dieser in aller Welt begehrten Droge. Noch stand er unter dem Schutz der Königsfamilie, die daran reichlich mitverdienten.

Eines Tages offenbarte er mir in seinem Privatzimmer die Geheimnisse seines Altars. Darauf throhnte der Elefantengott Ganesh. 'Schutzpatron' der Händler, der gute Geschäfte und Wohlstand versprach. Darunter versteckt waren Europäische Pornos, Schottischer Whisky und Charas. Er lud mich zu einem Whisky ein und erzählte mir von dem bevorstehenden Restaurant-Test. Der Minister für Tourismus und andere wichtige Leute wollten sich ein Bild von der Funktionsfähigkeit machen. Jetzt wurde es ernst für ihn und für mich. Aber wir hatten noch einige Wochen Zeit, die ich nutzte Rezepte aufzuschreiben und mir von anderen Westlern Tipps geben zu lassen. .

Einmal wöchentlich ging ich zur Nepal Rashtra Bank und bekam immer wieder mit einem lächelnden Gesicht die gleiche Auskunft:
„Entschuldigung, ihr Geld ist noch nicht eingetroffen.“

Endlich wurde die Spülküche installiert und ich stand mit Sharmaji auf der Dachterasse. Wie üblich höhlte er eine Zigarette aus, mischte den Tabak mit Dope und füllte damit den Glimmstengel. Er wollte keine verräterischen Blättchen oder Chillums in seinem Hotel. Während ich das Gleiche machte und wir über das Menü redeten entdeckten wir auf der Straße eine große Schar von Polizisten. Erschrocken lief er runter und ließ mich oben alleine zurück.
„Was passiert jetzt mit mir? Ein gültiges Visa habe ich ja!“
Aufgeregte Angestellte eilten die Treppen hinauf und versteckten kleine Mengen von Charas in den Blumentöpfen. Die Stunden vergingen und mit Angst erwartete ich die heraufstürmenden Polizisten. Dann sah ich unten den verhafteten Didi Sharma und die das Hotel verlassende Polizei.
„Noch mal Glück gehabt!“ dachte ich und dann kam endlich der Manager um mich aufzuklären.
„Mach Dir keine Sorgen und Du brauchst keine Angst zu haben. Sharmaji wird in ein oder zwei Wochen wieder frei sein. Lass uns einfach weiterarbeiten. Wir brauchen Dich!“

Nach seiner relativ schnellen Freilassung erfuhr ich von ihm etwas mehr. Nach tagelangen Verhören zeigte er den Beamten sein Versteck gefüllt mit 3 ½ Tonnen Haschisch. „Ich hatte eine Lizenz! Sollte ich das alles wegwerfen?"
wiederholte er immer wieder. Die Höhe des Schmiergelds erfuhr ich nie, aber sie dürfte gewaltig gewesen sein. Mir wurde immer klarer, dass er am liebsten nach Indien abhauen würde. Aber jetzt stand erst mal der große Test mit all den Honoratioren bevor. Und unter ihnen befanden sich bestimmt einige, die in seine Verhaftung involviert waren. Wir verabredeten ein Testessen im engsten Kreis, bei dem ich mit einer Vorspeise meine Kochkünste beweisen sollte.

Ich entschied mich für eine typische deutsche Kartoffelsuppe und ging mit einem mulmigen Gefühl zum nahegelegenen Gemüsemarkt. Zu meiner Überraschung fand ich auch fast alle auf meiner Einkaufsliste vermerkten Zutaten. Außer den Kartoffeln, Möhren, Zwiebeln und Knoblauch entdeckte ich auch Sellerie und Lauch. Petersilie suchte ich vergebens und ersetzte es mit frischem Koriander. Der Geschmack ist sehr ähnlich und sollte der Suppe zusammen mit dem Kreuzkümmel eine asiatische Note geben. Für 8 Personen kaufte ich 1 kg Kartoffeln, 2 Möhren, eine kleine Sellerieknolle, 2 Stangen Lauch, einen Bund Koriander, Zwiebeln und Knoblauch ein.

Unter den Augen der jüngsten Familienmitglieder und dem Manager zerstoß ich Pfefferkörner und Kreuzkümmel im Mörser und schwitzte sie kurz in einer Pfanne mit Butterschmalz an. Es folgten Zwiebeln und etwas später der Knoblauch. Den entstandenen Sud gab ich in einen Topf mit 2 Litern Wasser, Salz, den kleingeschnittenen Kartoffeln, Möhren, Sellerie und dem Lauch. Auf kleiner Flamme ließ ich die Suppe eine Stunde lang köcheln und gab kurz vor Schluss das Korianderkraut hinzu. Im neuen Mixer pürierte ich das Ganze und machte dann einen folgenschweren Fehler. Zum Probieren tauchte ich kurz meinen Finger in den Mixer, nicht daran denkend, dass ich für eine Brahmanen-Familie kochte. Das Oberhaupt war mit Geschäften beschäftigt, und ich liess ihm einen Teller ins Büro bringen. Dem Manager und auch dem Sekretär schmeckte es vorzüglich, aber die Kinder rührten die Suppe nicht an. Als ich Didi einige Stunden später nach seiner Meinung fragte, antwortete er mir:
„Ich habe es nicht gegessen. Es war dreckig, weil Du es mit Deinen Fingern berührt hast!“
„Wenn das dreckig war werde ich hier nicht mehr kochen!“
„Ok!“ entgegnete er und ließ mich lachend stehen.

Jetzt befand ich mich in einer prekären Situation, denn er war im Besitz meines Passes und konnte den stolz angekündeten Deutschen Koch nicht mehr präsentieren. Er liess mich 3 Tage zappeln bevor ich endlich mein Dokument mit einem in 3 Tagen auslaufendem Visa in den Händen hielt. Nachdenklich ging ich zur Bank, wo mich ein strahlender Angestellter begrüßte.
„Ihr Geld aus Deutschland ist angekommen! Das ist über die ‚First National City Bank’ in New York gelaufen, weil wir keine direkte Verbindung zur Sparkasse in Köln haben.“
Ich bekam die Hilfe meiner Mutter in Dollars ausbezahlt. Die 300 DM entsprachen 125 Dollars. Dankend verabschiedete ich mich grinsend, wohlwissend das es nicht an der Bankverbindung gelegen hat. Wie auch immer – der Zeitpunkt hätte nicht besser gewählt sein können. So schnell wollte ich jetzt aber Nepal nicht verlassen. Bestärkt im Glauben an eine höhere Macht ging ich zum Immigration-Office. Als der Beamte die Visas in meinem Pass sah grinste er mich freundlich an.
„Wie viele Tage möchten Sie?“
„Zwei Wochen um mich von Nepal zu verabschieden:“
„Kein Problem. Alles Gute!“
und schüttelte mir die Hand. Jetzt verstand ich langsam die Verstrickungen. Sharmaji hatte keinen Rückhalt mehr! Auf einmal war mein Geld ‚offiziell’ angekommen und ich bekam ganz legal noch mal ein 14-tägiges Visum.

Von einer großen Last befreit ging ich überglücklich ins ‚Snowland’, teilte meine Erfahrungen mit einigen bekannten Freaks und wurde zu etlichen Chillums eingeladen. Mittlerweilen war ich ja auch bei den Nepalesen kein Unbekannter mehr und der junge Chef spendierte mir einen Milkshake mit den Worten:
„Das war genau der richtige Zeitpunkt auszusteigen!“

Berauscht von Gefühlen und Charas lief ich durch Kathmandu und traf in Patan auf einen Schamanen. Wirbelnd trommelte er sich und mich in Trance. Und wieder erschien mein beschützender Dämonenschreck und übermittelte mir:
„Das ist ja gerade noch mal gut gegangen!“
 

 
 
 

Trommelnder Schamane
Digitales Bild von Peter Engelhardt

Ja, das hat gerade noch mal hingehauen. Ohne das Geld meiner Mutter wäre ich vielleicht für immer in Nepal oder Indien geblieben. So wie Andere ohne Geld und Visa hier gestrandet sind. Die Grenze zwischen den beiden Ländern war ja relativ einfach zu überwinden. Einige haben sich in nicht kontrollierbare Bergregionen zurückgezogen oder in den Weiten von Hampi Unterschlupf gefunden; und sind zum Teil auch zu von den Indern anerkannten Saddhus oder Yogys geworden. Andere haben eine neue Identität angenommen, in dem sie einem Abgebrannten den Pass abgekauft haben. Vorzugweise von einem Engländer, Kanadier, Australier oder Neuseeländer, weil diese für Indien kein Visa benötigten. Fälscherwerkstätten wird es in Indien genug gegeben haben.

Auf meinem Weg zurück nach Europa genoss ich die letzten Tage in Pokhara. Die Busreise zur Indischen Grenze wurde zu einem wehmütigen Abschied von den grandiosen Himalaya-Gipfeln.
 

 
 
 

Annapurna Gebirgskette
Foto von Ting Po

In Sonauli bekam ich ein 14tägiges Transit-Visa für Indien.


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  Ting Po

 
 
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© by Chris De Bié admin: 17.03.2019